Wer Farbe sagt, muss auch Leib sagen, und umgekehrt. Meinhard Michael

(Text zum Ausstellungskatalog Sighard Gille - Die Magd. Malerei und Zeichnungen. Galerie Rose, Hamburg 2006)

Die Malerei Sighard Gilles ruft immer wieder zwei Koordinaten auf: Eros und Farbe. Ohne einander zu bedingen, gehören sie zusammen. Untersuchungen zur Chromophobie haben gezeigt, dass Farbigkeit immer verbunden wird mit dem Körperlichen, mit dem emotionalen Crash, mit Erregung schlechthin. Sie verkörpert alle nur denkbaren Gegensätze der unbunten Rationalität. Das ist physiologisch fixiert. Rot, die wellenlängste Farbe, regt prinzipiell etwas auf.

Wie ist gegen Farbe in den bildlichen Medien gewettert worden. Feinde des Körpers malten Ende des 19. Jahrhunderts sogar den Untergang der abendländischen Kultur an die Wand – vorgebildet durch den Niedergang der Kunst. Bei Charles Blanc, Nomen ist hier Omen, heißt es: „Die Vereinigung von Farbe und Zeichnung ist notwendig, um die Malerei hervorzubringen, so wie die Vereinigung von Mann und Frau, um die Menschheit zu erzeugen, aber die Zeichnung muss ihre Vormacht über die Farbe behaupten. Sonst eilt die Malerei ihrem Untergang entgegen: Sie wird durch die Farbe fallen, wie die Menschheit durch Eva gefallen ist.“ Damit sind die Koordinaten aufgerufen. Farbe ist Lust ohne Beherrschung. Es geht aber um den ewigen Kampf. Männlich sei die Linie gegen Versuchung, Sünde und Weibermacht.

Gille zelebriert Farbe am erotischen Motiv, Hexenbeschwörung. Er kann sich dazu bekennen sogar im Sinne von Blanc (zumindest wörtlich; ob Gilles Malerei dessen Untergangs-Level bereits überschritten hätte, vermag ich nicht zu sagen). Denn er zurrt sie regelmäßig, den Regeln des Bildes gemäß, fest. Er bündelt sie zu Kuben, ordnet sie in Rhythmen, in Wellen, Spiralen, staut sie an Kanten und treibt sie Bögen entlang.

Immer wieder verführt aber die Farbe dazu, die ausgesprochene Tektonik von Gilles Bildern hintanzustellen. Man sieht das leuchtende Grün auf rosa Grund „für Renoir“ mitteilen, bemerkt das seitliche Licht über die bleichen Pobacken streifen und dann erst die stabilen vertikalen Formen des Bildes. Sie sind sogar zusätzlich eingespannt, zwischen einer Horizontlinie oben und dem Teppich des Wassers unten.

Für die Ordnung seiner Bilder baut dieser Maler den Bildraum ergreifende Skulpturen. Zwei Kontrahenten, die im „Wintersturz“ zusammengeprallt sind, formiert er zu einer aus dem Zentrum explodierenden Figur, zerklüftet von widerstrebenden Kräften. Der situativen und bildlichen Logik entsprechend fehlt es dort an jedweder Stabilisierung. Labil und krumm suchen die Glieder Halt, isolierte – ohne fixierende Linien – Formen fliegen durch die Luft. Anders darf sich Don Quichotte fühlen, der gewissermaßen in den Taumel aufgenommen und in ihm aufgehoben ist. Gille verwandelt die quasi Decameron- sche Bettverwechslungsszene in den einen männlichen Traum unter flammendem Rot, davongetragen von Urmutterbrüsten einer maternalen Omnipotenz. Wiederum stimuliert der Maler den wiegenden Schwung der rosa lockenden Braut durch das instabile Einbein im Vordergrund, das sich der Vision entzieht.

Abgesehen von der Komik dieser beiden Situationen sei hier auf ihren Zustand als Kippfi gur verwiesen. Balance ist im Verhältnis zwischen den Geschlechtern nun einmal wenig verführerisch. Dies betrifft selbst Bilder, in denen Akte scheinbar wohlig Wasser an der Haut genießen, das der Maler ihnen genüsslich farbig mischt und mit Kennerlust anstreicht. Die unbestreitbar männliche Blickregie Gilles schreibt seinen Fetischen gewissermaßen neben und in der weiblichen Anziehung auch die gegnerische Dominanzpotenz ein. Ausgeliefert wie Don Quichotte der rosa betörenden Überfrau findet der Maler an seinen Modellen immer wieder sowohl kraftstrotzend drohende Raketenbrüste als auch müde, verbrauchte Glieder. In dieser Achse parallel darf man den einerseits weiß blühenden und andererseits dunkelglühend Früchte versteckenden Holunder behandeln.

Es ist zu vermuten, dass Sighard Gille auch an der auf den ersten Blick pur männlich-voyeuristischen bzw. weiblichexhibitionistischen Pose vor allem die leibnahe Irritation registriert. Das rücklings unsichere „Aussteigen“ auf allen Vieren benutzt er in einer ganzen Serie, „malerische Probleme durchzuspielen“, was er doch im Grunde auf allen Bildern tut. Das momenthaft Leibhafte der Irritation, das die erlebte Szene aus der Balance kippt, erhebt sie zum bildnerischen Motiv. Der Maler dekoriert nicht, er sucht die Nähe zum Leib, zum Fleisch, zum Leben jenseits der rationalen Linie. Unter dem macht er es nicht.

Aus dieser Perspektive betrachtet, rücken die „Ikonen“ der Popstars nahe an die Akte heran. Tonlos fi xiert im Moment einer tausendmal unbeobachteten Öffnung, hat der Maler sie nun ertappt. Die von hinten vermalten Nackten und der offene Mund der Sänger folgen der gleichen körpernahen Außer-Balance-Setzung. Der offene Mund ist gewiss sexualisiert, doch das trägt nun nur wenig bei. Denn daneben ist er auch signifi kanter, schon symbolischer Ausdruck für einen Moment des Unbeherrschten. Er zeigt Erstaunen an oder Erschrecken und Entsetzen, Schmerz, aber auch ekstatisches Wohlsein und Lust. Edvard Munchs Schrei gehört zu den Vorläufern genauso wie die (einzelnen!) Engel mittelalterlicher Chöre, fortgesetzt und verwandelt in den brüllenden Gesichtshöhlen eines Caravaggio und Jordaens.

Gemeint war damit dem Motiv gemäß immer das Irdische, das Niedere, das Entfesselte, der unkultivierte Ton, der tierische Gott. Wenn bei Gille „Entsetzen“ enthalten ist, dann nicht zu knapp in der alten Nebenbedeutung von „Entsatz“. Jenseits der Fasson, hinter der Maske der Musik will Gille die Stars packen, selbst wenn er ihnen Grundtöne verpasst, die zu ihrer Musik passen können. Gille malt die Popstars selbstverständlich in Farbfl ächen, die stauen und rasen, dräuen und jagen, wie alle seine Bilder in seinem permanenten Kampf zwischen lustvoller Entgrenzung und den „Grenzziehungen“ (harte Linien drohen), die die Vernunft gebietet. Insofern enthalten auch diese Bilder – von Kollegen Künstlern – als Metathema die eigene Malergesinnung.

© Meinhard Michael

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